Dienstag, 20. November 2018

Neuruppin - Als es noch von der Einheit Deutschlands beseelt gewesen ist


Zwei fast vergessene Kapitel der Stadtgeschichte: Der Neuruppiner Stadtpark (1834) und sein Jahn-Gedenkstein (1911)

- Irrlichternd flackert eine merkwürdig aufrecht anmutende Vergangenheit in eine halt-, form- und seelenlos wirkende Gegenwart hinein

Seit dem Jahr 1830 war ein Oberst Alexander von Wulffen (1784-1861)(Wiki) Kommandeur des in Neuruppin stationierten preußischen Grenadier-Regimentes. Als solcher war er quasi Nachfolger des Kronprinzen Friedrich, der denselben Posten hundert Jahre zuvor inne gehabt hatte. Und so wie sein berühmter Vorgänger fühlte sich auch Alexander von Wulffen verpflichtet, sich ein verschönertes Stadtbild seiner Garnisonsstadt angelegen sein zu lassen. Der Kronprinz hatte hundert Jahre zuvor die bewaldeten Stadtwälle vor der Stadt vor der Rodung bewahrt und vor den südwestlichen Stadtmauern seinen berühmten Tempelgarten angelegt (1). Sein Nachfolger gründete hundert Jahre später einen "Verschönerungsverein" und legte vor dem nördlichen Stadtrand am Seeufer ebenfalls einen Garten an, den Neuruppiner Stadtpark (Abb. 1 bis 3). Heute ist dieser Stadtpark sehr verwildert und kaum noch wahrnehmbar als ein einstiger "vornehmer" Ausflugsort des einstigen "Luftkurortes" Neuruppin. Er ist kaum unterscheidbar vom umgebenden Wald. Damals war es anders. Wir erfahren (Wiki):
Auf Alexander von Wulffens Initiative entstand aus einem Schießstand heraus ab dem Jahr 1834 der Neuruppiner Stadtpark. Der Teich wurde 1835 angelegt. Zur Gestaltung des Parks gab Peter Joseph Lenné Vorschläge. Ein Gedenkstein erinnert dort an Alexander von Wulffen. Wulffen rief 1835 den Neuruppiner Verschönerungsverein ins Leben und wurde 1852 mit der Ehrenbürgerwürde von Neuruppin geehrt. Auch wurde die Wulffenstraße nach ihm benannt.

Abb. 1: Stadtpark Neuruppin, Postkarte wohl aus der Zeit vor 1914
 
Der hier erwähnte Peter Joseph Lenné (1789-1866)(Wiki) war der berühmte preußische Gartenkünstler, der damalige General-Gartendirektor der königlich-preußischen Gärten (Wiki):
Charakteristische Merkmale seiner Landschaftsgestaltungen sind die vielfältigen Sichtachsen, mit denen er vor allem in Potsdam die einzelnen Parkanlagen optisch miteinander verband und so die Bauwerke der Parkanlagen wirkungsvoll in Szene setzte. 
Zu solchen wunderschönen Sichtachsen scheint man sich bei der Gestaltung des Stadtparks von Neuruppin nicht aufgeschwungen zu haben. Immerhin (2):
Im Zuge der Umgestaltung des Areals nach 1839 in einen Stadtpark waren in der Teichumgebung Rasenflächen vergrößert und Schmuckanlagen angelegt worden. 
Hierzu war Lenné angeschrieben und um Rat gefragt worden so wie das in jener Zeit viele Menschen taten, die in Preußen neue Gärten anlegten (2). Welche Gestaltungselemente im Neuruppiner Stadtpark auf Lenné zurück gehen, ist vorderhand schwer heraus zu bekommen.

Abb. 2: Der Stadtpark - Am Goldfischteich, 1961

Immerhin sei zu dem Obersten von Wulffen noch erwähnt, daß seine beiden Ehen mit insgesamt 13 Kindern gesegnet waren. In diesem Punkt unterschied er sich deutlicher von seinem kronprinzlichen Vorgänger.

Abb. 3: "Neuruppin - Luftkurort - Stadtpark - Birkenallee" (Postkarte um 1927)

Als Neuruppin im Jahr 1927 das Recht zugesprochen erhielt, sich "Luftkurort" nennen zu dürfen, sah man auch die schon von von Wulffen geschaffene "Birkenallee" von der Stadt zum Stadtpark in neuem Licht (s. Abb. 3). Diese Birkenallee gibt es noch heute und zeugt von dem Schönheitssinn vergangener Generationen. Heute führt sie zu größeren Teilen durch Kleingarten-Kolonien hindurch, die auch den einstigen Stadtpark - allerdings unschön - umgeben. Die Birkenallee verläuft spitz auf die Wulffenstraße zu, die - wie oben erwähnt - ihren Namen zu Ehren des Begründers des Stadtparkes erhalten hat.

Jedenfalls: In dem Stadtpark ist es noch erahnbar, daß einst ein beseelteres, von Schönheitswillen erfülltes Bürgertum Gestalter desselben gewesen ist.

Der Jahn-Gedenkstein


Zwischen den Jahren 1907 und 1911 wurde in Neuruppin ein Gedenkstein für den "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) (Wiki) und für seinen örtlichen Vertreter, den Lehrer und Turnlehrer Carl Loose, errichtet (Abb. 4 und 5). Dieser Gedenkstein hat sich bis heute erhalten (Abb. 6, 7 und 8). Er hat aber heute auch von seinen Sinnzusammenhängen her einen ganz anderen Charakter und eine ganz andere Aussage als sie jener Gedenkstein hatte, der im Jahr 1911 geschaffen worden war. Im folgenden soll deshalb seine Geschichte - insbesondere auch anhand der Abbildungen (Abb. 4 bis 8) skizziert werden. Denn heute steht er etwas beziehungslos und ohne jede Erläuterungstafel am Rande des Stadtparkes und vor dem dortige Jahn-Seeufer-Bad.

Geschaffen worden ist dieser Gedenkstein einstmals von jenem namhaften Neuruppiner Bildhauer Max Wiese (1846-1925) (Wiki), der die meisten Denkmäler in Neuruppin und auch in seiner Umgebung um die Jahrhundertwende geschaffen hat. Wir erfahren (3, S. 50):
1907 beschloß der Gauturntag in Neuruppin, den verdienstvollen, um die Förderung des Turnens bemühten Männern Friedrich Ludwig Jahn und Carl Loose ein Denkmal zu schaffen. Die Wahl des Standortes erwies sich zunächst kontrovers: der Stadtpark, die Bahnhofstraße standen zur Diskussion.
Der Magistrat einigte sich dann aber auf die Parkstraße vor dem damaligen Knaben-Doppel-Schulhaus, dem Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, einem Gebäude, das heute in DDR-Art Puschkin-Schule benannt wird, obwohl man es gut und gerne auch wieder hätte zurück benennenen können in Friedrich-Wilhelm-Gymnasium (wie übrigens auch sonst viele Straßennamen in Neuruppin). Es ist zu erfahren (4):
In Erinnerung an den Turnvater Jahn und den Mitbegründer des Neuruppiner Männerturnvereins und der Neuruppiner Turnerfeuerwehr, den Lehrer Karl Loose entstand von Max Wiese 1911 das Jahn-Loose-Denkmal.
Bis in die Zeit nach 1945 hat es also in der Parkanlage der Parkstraße (heute "Puschkinsstraße" genannt) vor dem Gymnasium, heute "Puschkin-Schule" genannt, gestanden (Abb. 4 und 5). In seiner Form war es gewiß eine "markige" Erinnerung an die Geschichte des Turnerbundes und vor allem auch an die Geschichte des Turnens in Neuruppin. 

Abb. 4: Jahn-Loose-Stein (Postkarte)

Dieser Gedenkstein erhielt allerdings nach 1945 - im geteilten Deutschland - eine völlig neue Aussage und einen völlig neuen Charakter. Offenbar ergaben sich diese dadurch, daß das ursprünglich geschaffene Metall-Relief und das darüber angebrachte Turnerkreuz irgenwann abhanden gekommen waren, daß man aber dennoch - m Sinne des DDR-Patriotismus jener Jahre - auf einen Jahn-Gedenkstein nicht verzichten wollte. Entweder war das Metall der Reliefs im Zweiten Weltkrieg gebraucht worden oder die Tafeln sind in der Zeit nach 1945 gestohlen worden.

Abb. 5: Jahn-Loose-Denkmal

Heute jedenfalls sind an der Stelle, wo vormals das Turnerkreuz (F-F-F-F für "Frisch, fromm, fröhlich, frei") (Wiki) zu sehen war, im Stein nur noch die leeren Vertiefungen zu sehen, die einstmals für die Anbringung desselben dienten.


Abb. 6: Friedrich-Ludwig-Jahn-Denkmal

Während der DDR-Zeit - und auch seither - fühlte sich offenbar niemand bemüßigt, den ursprünglichen Zustand dieses Gedenksteines wieder herzustellen. Unter die genannte leere Stelle ist heute - anstelle des von Max Wiese geschaffenen Portrait-Reliefs - wiederum eine Metall-Tafel angebracht worden. Sie enthält die Worte des Turnvaters Jahn:

"Ich kenne keine Zeit, wo ich nicht
von der Einheit Deutschlands 
beseelt gewesen bin."

Wenn man diese Worte unvermittelt liest, stehend am fast verwahrlosten Rand des fast verwahrlosten Stadtparkes von Neuruppin, fühlt man sich mit einem male in eine ganz andere Welt versetzt, in die Welt des Turnvaters Jahn des 19. Jahrhunderts und - wie man nach Studium erfährt - in die Welt der DDR vermutlich der frühen 1950er Jahre. Das Erbe des Turnvaters Jahn ist von der DDR sehr in Ehren gehalten worden. Noch im Jahr 1977 hat die DDR eine Briefmarke mit einem Porträt von Friedrich Ludwig Jahn heraus gegeben. 

Abb. 7: Jahn-Stein vor dem Jahn-Bad, November 2018

Und so war es naheliegend, daß man den Jahn-Gedenkstein wieder restaurierte, allerdings diesmal mit einer grundsätzlicheren Aussage, einer Aussage, die - im Gegensatz zum Jahr 1911 - wieder außerordentlich fragwürdig - und für die damaligen Menschen dringlich - geworden war. Auf der Rückseite des Steines findet sich heute zusätzlich nur noch eine - sicherlich ebenfalls erst nach 1945 geschaffene - kleine metallene Gedenk-Plakete mit dem Namen "Friedrich Ludwig Jahn " und mit seinen Geburts- und Sterbejahren. Diese Rückseite ist auch auf einer Postkarte aus der Zeit nach 1945 - quasi als Vorderseite - zu sehen (Abb. 6, links oben).

Noch später scheint der alte, graue Stein dann - so wie es schon einmal 1911 erwogen worden war - in die Nähe des Neuruppiner Stadtparkes umgesetzt worden zu sein, nämlich vor das in früheren Nachkriegsjahrzehnten viel mehr genutzte und bei einer früheren Generation sehr beliebte und in sehr guter Erinnerung gebliebene "Jahnbad" am Seeufer. Heute steht der Gedenkstein dort etwas, nun, "abseitig" und unbeachtet, ja, fast ohne Bezüge zur Umgebung in der Gegend herum.

Klar ist: Friedrich Ludwig Jahn verkörperte im 19. Jahrhundert den Gedanken an die "Einheit Deutschlands" wie wenige andere. Der Gedanke von der "Einheit Deutschlands" war in den Jahren bis 1848 und bis zur Erfüllung desselben durch Otto von Bismarck zwischen den Jahren 1866 und 1871 mehr als ein revolutionärer denn als ein konservativer Gedanke empfunden worden. Der Revolutionär und Turnvater Jahn ist um die Bewerbung dieses Gedankens willen in preußischen Gefängnissen als politischer Gefangener gesessen. Jahn berichtet selbst über seine Jugendzeit (5, S. 16):
Noch ehe ich nach Salzwedel auf die Schule kam, war ich mit Hopfenbauern in Lübeck, Wismar und Rostock gewesen. Aus dieser Jugendzeit stammen meine Begriffe von der Ganzheit meines Volkes.
Und entsprechend schrieb er 1846 in einem Brief an einen August Ravenstein (5, S. 16):
Den Begriff der Einheit Deutschlands habe ich mir angelebt und eingelebt. Ich kenne keine Zeit, wo ich nicht von ihm beseelt gewesen. 
Ohne Frage gehen die Worte auf dem heutigen Neuruppiner Jahn-Stein auf diese Worte im Brief von 1846 zurück. Es gibt auch noch ähnliche Worte von Friedrich Ludwig Jahn, die gerne zitiert werden, wenn an ihn erinnert wird und man seiner gedenkt. Sie sind im Zusammenhang mit den politisch hochgehenden Emotionen des Revolutionsjahres 1848 verfaßt worden und sind enthalten in einer Schrift, die als Jahns "Schwanenrede" bekannt wurde. In dieser schreibt Friedrich Ludwig Jahn 1848 am Ende (6):
Jahn hatte für Verfassung geschrieben und geredet, für Deutschlands Einheit. Ja, für diesen Hochgedanken habe ich gelebt und gestrebt, gestritten und gelitten. Anerkannt haben das die Mainzer Untersuchungsbehörde und der Bundestag. Beide haben mir nachgerühmt, "daß ich die höchstgefährliche Lehre von der Einheit Deutschlands zuerst aufgebracht". Das sollte meine Grabschrift werden, wenn meinen Gebeinen in Deutschland noch ein Plätzchen vergönnt wird: Deutschlands Einheit war der Traum meines erwachenden Lebens, das Morgenroth meiner Jugend, der Sonnenschein der Manneskraft, und ist jetzt der Abendstern der mir zur ewigen Ruhe winkt.

Abb. 8: Jahn-Stein vor dem Jahn-Bad, November 2018 - Linker Hand liegt der Stadtpark (eigene Aufnahme)


Natürlich hat Friedrich Ludwig Jahn - wie die Gründerväter des Grundgesetzes und wie womöglich auch viele DDR-Deutsche - von einem Deutschland geträumt "einig in seinen Stämmen, von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuen und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern", anstatt es einer Vermerkel- und Vergaukelung anheim fallen zu lassen, die sprichwörtlich grenzen- und bodenlos beschämend und abartig sind.

Der Turnvater Jahn hätte angesichts solcher heutiger Zustände die Forke aus dem Kuhstall geholt. So viel mag gewiß sein. - Was für eine wechselvolle Geschichte, aufzeigbar nur allein an einem heute unaufällig und beziehungslos im Wald herum stehenden Gedenkstein.
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  1. Bading, Ingo: Der Amalthea-Garten in Neuruppin Ein edler Rokoko-Garten im Sinne Friedrichs des Großen sieht anders aus als die heutige Gestaltung des Gartens. Preußen lebt!, 23. Dezember 2017, https://preussenlebt.blogspot.com/2017/12/der-amalthea-garten-in-neuruppin.html
  2. Karg, Detlef: Peter Joseph Lenné - Parks und Gärten im Land Brandenburg. Werkverzeichnis. Wernersche Verlagsgesellschaft, 2005 (342 Seiten) (GB)
  3. Irina Rockel: Neuruppin, so wie es war.  
  4. Seebadeanstalt "Jahnbad" Neuruppin, Historie. https://www.seebadeanstalt-neuruppin.de/seite/121506/historie.html
  5. Euler, Carl: Friedrich Ludwig Jahn. Sein Leben und Wirken C. Krabbe, 1881 (634 S.) 
  6. Magdeburgische Zeitung: Anhalter Anzeiger. 1848, 10/12 - Seite 4  Jahns Schwanenrede (GB)
  7. https://www.neuruppiner-verschoenerungsverein.de/vereinsmitgliedschaft/

Samstag, 8. September 2018

Das Kriegerehrenmal von Walsleben in Brandenburg

Geschaffen von dem Bildhauer Max Wiese

Blickfang in dem Dorf Walsleben (Wiki) bei Neuruppin ist das Kriegerehrenmal vor der dortigen Kirche (Abb. 1).

Abb. 1: Max Wiese - Kriegerehrenmal Walsleben
(Aufnahme: 8.4.2018)

Es ist geschaffen worden von dem Neuruppiner Bildhauer Max Wiese (1846-1925) (Wiki). Wiese hat auch die Skulpturen für die Denkmäler für Theodor Fontane und Karl Friedrich Schinkel in Neuruppin geschaffen. 

Wiese selbst hatte am deutsch-französischen Krieg 1870/71 teil genommen und in der Schlacht von Gravelotte eine Schußverletzung erhalten.

Auch das Kriegerehrenmal, das bis 1944 den Schulplatz in Neuruppin schmückte (Prbl2018), war von ihm geschaffen worden.

Abb. 2: Max Wiese - Kriegerehrenmal vor der Dorfkirche Walsleben
(Aufnahme: 8.4.2018)

Dieses Kriegerehrenmal in Walsleben ist so ergreifend, auch von seiner ausgewählten Lage her, daß der Betrachter unmittelbar innehalten muß.

Abb. 3: Dorfkirche Walsleben mit Kriegerehrenmal von Max Wiese
(Aufnahme: 8.4.2018)

Es fällt sozusagen schwer, an dieser Dorfkirche vorbei zu fahren und das Ehrenmal nicht zu beachten. Es ist vor der Dorfkirche platziert und stellt einen verletzten, sterbenden Soldaten dar. 

Auf seinem Sockel ist verzeichnet: "Die Gemeinde Walsleben ihren im Weltkriege 1914-1918 gefallenen Söhnen". Diese sind dann namentlich angeführt.

Abb. 4: Max Wiese - Kriegerehrenmal Walsleben
(Aufnahme: 8.4.2018)

Im letzten Jahr ist dieses Kriegerehrenmal sorgfältig restauriert worden (1-4).

Abb. 5: Max Wiese - Kriegerehrenmal Walsleben
(Aufnahme: 8.4.2018)

Prächtige Bauernhäuser reihen sich rechts und links an der Straße entlang. 

Sie geben Kunde von dem Wohlstand der Bewohner Ende des 19. Jahrhunderts. Selbständige, selbstbewußte Bauern lebten hier Jahrhunderte lang ein friedliches, erfülltes Leben im Einklang mit der Natur und ihrem Jahreslauf.

Abb. 6: Dorfkirche Walsleben
(Aufnahme: 8.4.2018)

Jahrhunderte lang lebten die Menschen ein seelisch gefestigtes, in sich ruhendes Leben. Sogar solche seelisch zerrüttenden Ereignisse wie der Dreißigjährige Krieg wurden seelisch vergleichsweise unerschüttert überstanden.

Die Traumatisierungen allerdings, die dann das Zwanzigste Jahrhundert im Gefolge des Ersten Weltkrieges mit sich brachte, kehrten vollends alles Unterste nach Oben. Die Menschen haben bis heute ihre seelische Mitte nicht wieder gefunden.

Ein Blick auf dieses Ehrenmal sollte sie etwas von der vormaligen Ruhe und inneren Festigkeit ahnen lassen, sollte ihnen eine Ahnung geben, was Orientierung geben kann in einer orientierungslos und haltlos gewordenen Zeit.

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  1. Restauration des Krieger-Denkmals in Walsleben abgeschlossen. 14.03.17, http://www.amt-temnitz.de/inhalte/amt_temnitz/_inhalt/aktuelles/nachrichten/denkmal
  2. Simons, Dagmar: Für die Ewigkeit gemacht - Paula Kropius restauriert das Kriegerdenkmal vor der Walslebener Kirche. Märkische Allgemeine, 01.11.2016, http://www.maz-online.de/Lokales/Ostprignitz-Ruppin/Fuer-die-Ewigkeit-gemacht
  3. Bodde, Peter: Dorfkirche Walsleben. In: ders.: Kirchen in Nordbrandenburg. http://www.dr-brodde.de/kirchen/objekte/walsleben.html, http://www.dr-brodde.de/kirchen/index.html
  4. Dallmann, Sabine: Max Wiese. Ein Neuruppiner Kind, zufällig in Danzig geboren. In: Mitteilungsblatt Nr. 16 des Historischen Vereins der Grafschaft Ruppin, Neuruppin 2006, S. 16 ff

Sonntag, 1. April 2018

Das "Wahlendorfer Luch" bei Neuruppin

Naherholung im Nordwesten der Stadt - Sie ist möglich, aber wird nicht gefördert
- Natur zwischen "Mesche", Klappgraben und "Wahlendorfer Luch"

Im Umkreis des Segelflugplatzes von Neuruppin, des vormaligen Militärflugplatzes, zwischen dem nördlichen Stadtrand von Neuruppin und dem Dorf Storbeck (Wiki), findet man eine Kilometer weit ganz einsame Luch-Landschaft. Diese ist durchflossen von dem "Klappgraben" und von den vielen Nebengräben und Zuflüssen, die ihn begleiten. Am verstecktesten inmitten dieses Luchs liegt schließlich der Gänsepfuhl, ein weitgehend unzugänglicher See.

Bei diesem Luch handelt es sich - und das muß man im Internet erst länger recherchieren, bevor man es herausfindet - um das "Wahlendorfer Luch". Am Stadtrand von Neuruppin südlich des Klappgrabens wird es auch "Mesche" genannt.

Das "Wahlendorfer Luch" ist benannt nach dem Gut Wahlendorf, das neun Kilometer westlich von Neuruppin liegt und eineinhalb Kilometer nördlich des dortigen Dorfes Darritz (Wiki). Darritz hinwiederum liegt drei Kilometer hinter Kränzlin (Wiki). Viele der genannten Orte sind auf "Google Maps" nicht leicht zu finden. So sei hier noch einmal erläutert: Storbeck liegt sechs Kilometer nördlich von Neuruppin, Kränzlin liegt fünf Kilometer und Darritz neun Kilometer westlich von Neuruppin. Darritz hinwiederum liegt etwa sieben Kilometer südwestlich von Storbeck. Das "Wahlendorfer Luch" wird also von diesen Dörfern eingerahmt, ein Luchgebiet, das den ganzen nördlichen Stadtrand von Neuruppin begleitet, praktisch ein hervorragendes Naherholungsgebiet.

Abb. 1: Einsame Luch-Landschaft im Wahlendorfer Luch
Am quer hindurch verlaufenden, selten genutzten Plattenweg, im Schneetreiben, Ostern 2018

Das Dorf Storbeck wurde interessanterweise 1691 von zwölf Schweizer Familien besiedelt, von denen keine Familie weniger als vier Kinder hatte (1). Es gibt im Ruppiner Land noch drei weitere Dörfer, die damals von Schweizer Bauernfamilien begründet wurden. Auf Google Bücher (GB) findet man, daß diese Schweizer Kolonisten im Land Brandenburg in der wissenschaftlichen Literatur schon häufiger Aufmerksamkeit gefunden haben.

Das Wahlendorfer Luch ist übrigens Teil der "Ruppiner Platte" (Wiki). Eine riesige Plattenbau-Siedlung zieht sich zwar entlang des ganzen südwestlichen Stadtrandes von Neuruppin (bis zu den Ruppiner Kliniken). Aber diese Plattenbau-Siedlung ist damit nicht gemeint.

Abb. 2: Einsame Luch-Landschaft im Wahlendorfer Luch
Am quer hindurch laufenden, selten genutzten Plattenweg, im Schneetreiben, Ostern 2018

Bislang gehört das Wahlendorfer Luch noch nicht zu den 18 Naturschutzgebieten des Landkreises Ostprignitz-Ruppin (Wiki). Aber es ist als "FFH"-Gebiet ausgewiesen, als "Fauna-Flora-Habitat"-Gebiet. Und im diesbezüglichen "Erlaß" von 2004 erhält man auch eine Beschreibung dieser Landschaft, die - aus Ermangelung anderer - hier zitiert sei (Erlaß 2004):
Das FFH-Gebiet befindet sich circa fünf Kilometer nordwestlich von Neuruppin und erstreckt sich entlang der Ruppiner Seenrinne von West nach Ost. Der durch Erlenbruchwald geprägte "Bütowsumpf" begrenzt das Gebiet im Westen, der Klappgraben als verbindendes, temporär trockenfallendes Element schlängelt sich durch die hauptsächlich durch Grünlandnutzung geprägten Niederungen. Auf seinem Weg zwischen der Revierförsterei Buchenhaus und der Kränzliner Siedlung streift der Klappgraben das Wahlendorfer Luch und teilt sich bei Erreichen der Mesche in zwei Gräben. Einer dieser neuen Gräben mündet im Osten in den Gänsepfuhl, der andere auf Höhe des Schöpfwerkes in den Mahlbusen, nordöstlich des ehemaligen Flugplatzes der Stadt Neuruppin. Das Wahlendorfer Luch und die Mesche durchbrechen mit ihrer sackartigen Gestalt den sonst linienhaften Charakter des Gebietes. Das Wahlendorfer Luch ist ein stark mit Weidengebüschen durchsetzter extensiv genutzter Grünlandbereich, der durch zahlreiche Gräben nach Süden entwässert. Die Neuruppiner Mesche ist gekennzeichnet durch feuchte bis frische Wiesen und Weiden sowie natürlich eutrophe Seen, den Gänsepfuhl und mehrere ehemalige vernässte Torfstiche. Das Grabensystem der Mesche entwässert ebenfalls nach Süden in den Mahlbusen.
Wenn man also recht versteht: Die Landschaft zwischen dem südlichen Ufer des Klappgrabens und dem Stadtrand von Neuruppin heißt "Mesche", bei der Landschaft nördlich des Klappgrabens handelt es sich um das "Wahlendorfer Luch" (2, S. 8). Der "Gänsepfuhl" liegt einen halben Kilometer südlich der L18, der Landstraße von Storbeck nach Neuruppin, bevor sie auf die L16 (Neuruppin-Rheinsberg) mündet.

Abb. 3: Der Gänsepfuhl
(September 2018)

Ganz richtig wurde 2014 in einem Entwicklungsplan der Stadt Neuruppin festgehalten (2, S. 19):
Im Bereich der Bahnhofsvorstadt (Nordwesten) gibt es keine entwickelten Naherholungsbereiche. Die Zahl der in die Landschaft führenden Wege ist allseitig gering. In der Karte (...) ist erkennbar, daß am Klappgraben ein einmalig enger Bezug des potentialen Freiraumbezuges zur Innenstadt möglich ist und innerhalb des 3-km-Radius eines Ausbaues bedarf.
An diesen Ausführungen ist jedes Wort richtig. Genau das ist einer der ersten Eindrücke, die man als Neubürger Neuruppins von dieser Gegend gewinnt. Die Wegeführung hinaus in die Landschaft ist nicht "einladend", sondern man muß sich sprichwörtlich außerordentlich versteckte Wege "erkämpfen", bis man sie gefunden hat. In dem Entwicklungsplan von 2014 schreiben die Landschaftsarchitekten dann weiter (2):
Nach Auskunft von Mitarbeitern der Administration wird vor allem der an den Klappgraben angrenzende ehemalige Flugplatz derzeit von Joggern, Radfahrern und insbesondere Hundehaltern auf Brachflächenniveau genutzt. Gleichzeitig wird der Bereich erheblich von Motorsportlern beansprucht, so daß sich Erholungseffekte wieder aufheben und es einer gewissen Ordnung bedarf. Auch die Verwahrlosung und Vermüllung legen nahe, den Flächen einen geordneten und vielfältigen Zugang zu geben und die Chancen von Weite und Steppenkulturen mit besonderer Lebensraumqualität herauszuarbeiten. Der Klappgraben sollte dafür eine zentrale Rolle einnehmen.
Es ist schön, solche Dinge einmal Schwarz auf Weiß zu lesen, die man selbst mit einigem Unverständnis schon hat zur Kenntnis nehmen können. Am meisten aber stört gegenwärtig, daß im Bereich des ehemaligen Militärflughafens die großen und scharf bellenden Hunde der dortigen großen Schäferei frei umherlaufen und jeden noch so unerschrockenen Erholungssuchenden die Flucht ergreifen lassen. Man muß das als einen ganz unglaublichen Zustand bezeichnen. Von Einladung zur Erholung kann hier wahrlich nicht die Rede sein, sondern vom reinen Vertreiben. Auch gibt es dort überall Verbotsschilder, die einen einschüchtern, zum Beispiel das Segelfluggelände wenigstens in den vielen Monaten zu betreten, an denen es doch gar nicht genutzt wird. Jogger, Radfahrer, Hundehalter hat der Autor dieser Zeilen jedenfalls in dieser Gegend noch noch nie angetroffen. Das dürfte vermutlich auch nur Lebensmüden zu empfehlen sein.

Abb. 4: Der Gänsepfuhl
(September 2018)

Ganz richtig heißt es ja auch weiter (2):
Noch ist auf einem Großteil der Fläche Munitionsverdacht und Altlastenverdacht. Der Bergungsbedarf ist aus Sicherheitsgründen sowieso gegeben, denn ein Fernhalten der Menschen ist unrealistisch. Altlastenbereinigungen sind schon aus Gründen der Fließrichtungen von Grundwasser, Klappgraben und Landwehr erforderlich.
Und ganz richtig wurde schon 2014 empfohlen (2):
Konzipierung von Sport- und Freizeitrouten auf bestehenden und zu schaffenden Wegestrukturen am Klappgraben, [sowie] Anlage eines Klappgraben begleitenden Rad- und Wanderweges zur Nutzung für konventionelle Freizeitaktivitäten (Radfahren, Spazieren gehen, Wandern), gleichzeitig Etablierung eines Themenpfades „Klappgraben – Wandlungen einer Kulturlandschaft“.
Tapfer voran, also, Stadtverwaltung! Für alle übrigen aber gilt: Weiß man nach vielen Versuchen die genannten Hindernisse "ortskundig" zu umgehen und bleibt man auf den oft völlig sumpfigen Feldwegen und Wiesen nicht sprichwörtlich im Wasser stecken, entdeckt man eine ganz einsame, verzaubernde Landschaft, befindet sich nur noch in der Gesellschaft von Ottern und Bibern, Lerchen, Kranichen und viel Rehwild (s. Abb. 1 und 2).

Abb. 5: Im Wahlendorfer Luch
(September 2018)
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  1. Stirnemann, Heinz: Woselbst sie wohl aufgenommen. 300 Jahre Schweizer Kolonien in der Mark Brandenburg am Beispiel der Gemeinde Storbeck. Evangelischer Regionalverband Frankfurt am Main 1991 (78 S.)
  2. Entwicklungsplan „Wasser unter Stadt“. Fontanestadt Neuruppin 2014 (html, pdf)

Samstag, 17. März 2018

Die Familie Friedrich von Berg in Ostpreußen

Eine Familiengeschichte zwischen Kaiser Wilhelm II., Hindenburg, Ludendorff und Hitler
- Ein neu bekannt gewordener Brief Erich Ludendorffs aus dem Jahr 1926 wirft Fragen auf

"Gebot über allen Geboten:
Deutschland, wahre die Ehre!"

(Exzellenz Friedrich von Berg, 
vormaliger Oberpräsident Ostpreußens, 
im Jahr 1923)

Der Name Friedrich von Berg (1866-1939) (WikiBundesarchiv) (1, 2) sagt heute nur noch Fachleuten etwas. Fachleuten für die Geschichte Ostpreußens oder Fachleuten für die Geschichte des Ersten Weltkrieges. Auch dem Autor dieser Zeilen war dieser Name bis vor wenigen Tagen nicht bekannt. Dabei hatte Friedrich von Berg in Ostpreußen und darüber hinaus zu seinen Lebzeiten einen durchaus bekannten Namen. In Ostpreußen galt er nur als "Exzellenz von Berg". Er war Oberpräsident Ostpreußens während des Ersten Weltkrieges und er war persönlicher politischer Berater Kaiser Wilhelms II. (1859-1941) (Wiki) in den entscheidenden Kriegsjahren 1917 und 1918. Dabei unterstützte er entschieden die Politik Hindenburgs und Ludendorffs. Auch bis 1933 blieb er ein entschiedener Unterstützer sowohl Hindenburgs wie der Hohenzollern. Deshalb wurde sein Gut Markienen bei Bartenstein in Ostpreußen zu seinen Lebzeiten immer wieder zum Anlaufpunkt für viele Menschen (Ostpreußen):

In der Kaiserzeit und während der Weimarer Republik war Markienen wegen des hochangesehenen Besitzers Friedrich von Berg Besuchsziel vieler Prominenter. Das Kronprinzenpaar war öfter hier, auch Reichspräsident v. Hindenburg und die Generale v. Mackensen, v. Seekt und v. Fritsch.

Eine Beschäftigung mit dem Leben dieses Friedrich von Berg gewährt den Blick in eine seltsam ferne Welt. Man erhält den Blick auf einen Teil der preußischen Geschichte und der Geschichte des deutschen Kaiserhauses, sowie "stockkonservativer" preussischer Adelsfamilie, die einem heute noch ferner liegen als viele sowieso schon viele ferne Teile der deutschen und insbesondere ostdeutschen Geschichte. Aber diese Teile helfen, sehr wesentliche geschichtliche Vorgänge und Entwicklungen der Jahre zwischen etwa 1903 und 1933 besser verstehen und einordnen zu können. 

Abb. 1: Exzellenz Friedrich von Berg (1866-1939), Oberpräsident Ostpreußens,
enger Mitarbeiter des Kaisers, sowie der Söhne und Enkel des Kaisers

Soeben wird ein handgeschriebenes Beleidsschreiben Erich Ludendorffs aus dem Jahr 1926 bekannt (siehe unten), womöglich oder offenbar geschrieben aus Anlaß des Todes eines Bruders von Friedrich von Berg. Dieses Schreiben wirft für den Geschichtsinteressierten viele neue Fragen auf. Fragen hinsichtlich der Geschichte der Familie von Berg auf Gut Markienen bei Bartenstein, sowie Fragen, in welche Art von Berührung Friedrich von Berg - und damit offenbar auch der ihm nahestehende deutsche Kronprinz Wilhelm (1882-1951) (Wiki) und dessen Sohn Wilhelm (1906-1940) (Wiki) - der völkischen Bewegung ihrer Zeit in Ostpreußen und in Königsberg gekommen sind, und weshalb deshalb in diesem Umfeld spätestens 1931 der Freimaurerkampf, für den Erich Ludendorff seit 1927 bekannt geworden ist, sehr positive Erwähung finden konnte von Seiten des Enkels und hoffnungsreichen Thronfolgers von Kaiser Wilhelm II., ein Umstand, auf den auch schon in einem früheren Beitrag hier auf dem Blog hingewiesen worden ist (3).

August 1914 - Friedrich von Berg erlebt den Russen-Einfall in Ostpreußen

Es sei aber zunächst mit dem Jahr 1914 begonnen. Das Schicksal Deutschlands während des Ersten Weltkrieges hat die Menschen tief aufgewühlt. In keiner anderen deutschen Provinz waren so viele leidvolle Erfahrungen gesammelt worden wie in Ostpreußen. Sowohl während des Krieges wie auch in der Zeit der Abstimmungskämpfe danach, sowie in der Zeit des Lebens mit dem sogenannten "Korridor", als Ostpreußen vom übrigen Reich durch polnisch gewordenes Staatsgebiet abgetrennt worden war, ein Umstand, der auch niemals von dem Ministerpräsidenten Preußens, dem Sozialdemokraten Otto Braun, anerkannt worden ist.

Zu diesen Schicksalen gehört, daß beispielsweise auch das Gutshaus des Landeshauptmanns von Ostpreußen, des eingangs genannten Friedrich von Berg, 1914 von den Russen geplündert worden ist (Ostpreußen). Friedrich von Berg selbst wurde in diesem Jahr zum "Staatskommissar für das Flüchtlingswesen" ernannt. Einen solchen gab es also schon im Jahr 1914 (1). Welch ein Aufatmen ging zunächst durch Ostpreußen, als Ende August 1914 die Schlacht von Tannenberg geschlagen war. Sicherlich spätestens seit dieser Schlacht war der Landeshauptmann von Ostpreußen, Friedrich von Berg, zu einem bedingungslosen Anhänger des Feldherrn-Gespanns Hindenburg und Ludendorff geworden so wie er zuvor schon als ein entschiedener, das heißt "streng konservativer" Vertreter des monarchischen Gedankens galt.

Abb. 2: Das Gutshaus Markienen bei Bartenstein in Ostpreußen (vor 1945)
Hier weilten das Kronprinzenpaar, Hindenburg, sowie die Generäle Mackensen, Seeckt und Fritsch oft zu Besuch

Friedrich von Berg war fast gleichen Jahrgangs wie Erich Ludendorff. Er war ein Studienfreund und Korpsbruder des deutschen Kaisers Wilhelms II.. 1903 war Friedrich von Berg Landrat des Kreises Goldap in Ostpreußen geworden und war als solcher wieder häufiger in persönliche Berührung mit dem Kaiser und dessen Familie gekommen, nämlich immer dann, wenn diese in Rominten zur Elchjagd weilten. 1906 war Friedrich von Berg in das Zivilkabinett des Kaisers gekommen, 1909 war er dann Landeshauptmann von Ostpreußen geworden, also Chef der Provinzialverwaltung von Ostpreußen.

Als dieser Landeshauptmann erlebte er dann 1914 die Invasion Ostpreußens durch die Russen. Seit der Befreiung Ostpreußens durch die Schlacht von Tannenberg unterhielt Friedrich von Berg ein enges Vertrauensverhältnis zu Hindenburg und Ludendorff (4, S. 270).

Juni 1917/Januar 1918 - Friedrich von Berg wirkt mit am Sturz Bethmann-Hollwegs und Valentini's

Im Jahr 1917 war der deutschen Reichskanzler von Bethmann-Hollweg von immer mehr Menschen als untragbar für die deutsche Politik erachtet worden, insbesondere auch von Hindenburg und Ludendorff. Sie wußten von der Einstellung Friedrichs von Berg in diesen Fragen und luden ihn deshalb im Juni 1917 ins Hauptquartier nach Bad Kreuznach (4, S. 270):

Am 24. Juni versuchte er den Kaiser fast anderthalb geschlagene Stunden lang auf der Terrasse des Schloßhofs zu Bad Homburg, wo der Kaiser residierte, von der Notwendigkeit eines Kanzlerwechsels zu überzeugen. Bis dahin hatte noch kein Kanzlergegner ein derartig offenes Gespräch mit Wilhelm II. in der Causa Bethmann Hollweg führen können.

Friedrich von Berg führte aus, daß Bethmann-Hollwegs Abgang von allen Patrioten gefordert würde (5, S. 322). Hindenburg berichtete brieflich an seine Frau, was Friedrich von Berg ausgeführt hatte (zit. n. 2, S. 271):

Nicht die Konservativen allein wären gegen den Kanzler, sondern der größte Teil der Mitglieder aller Parteien, denen seine Schwäche und Unfähigkeit Sorgen für die Zukunft bereitet.

Ludendorff hat spätestens seit 1927 intensiv über die Rolle der Freimaurerei in der Politik publiziert, wobei er auch voraussetzte, daß Bethmann-Hollweg Freimaurer-Bruder gewesen wäre. Über diesen schrieb Ludendorff 1928 (7, S. 142):

Sein "Defaitismus" (...) zwang Br. von Bethmann, endlich den Posten als Reichskanzler zu verlassen, nachdem er schnell noch einen neuen Erlaß des Kaisers über die Änderung des Wahlrechts in Preußen herbeigeführt hatte. Ich hatte erklärt, nicht länger mit dem Reichskanzler zusammenarbeiten zu können. Leider hielt ich ihn damals auch nur für "defaitistisch", noch nicht für einen ausgesprochenen, bewußten Verderber der Deutschen.

Zu den "Hinterlassenschaften" Bethmann-Hollwegs in der deutschen Politik gehörte der Chef des Zivilkabinetts des Kaisers, Rudolf von Valentini (1855-1925) (Wiki) (2, S. 310-313). Dieser hat unglaublich viel Einfluß auf die wesentlichsten Personalentscheidungen des Kaiserreiches ausgeübt, schon im Jahr 1914. Er war gleichgestellt dem Chef des Militärkabinetts Moriz von Lyncker (1853-1932) (Wiki) und dem Chef des Marinekabinetts Georg von Müller (1854-1940) (Wiki). Friedrich von Berg schreibt in seinen 1920 handschriftlich niedergelegten, 1971 veröffentlichten Erinnerungen über das (2, S. 55):

merkwürdige Phänomen, daß nicht, wie man angesichts der Rolle des Militärs im Kriege hätte erwarten können, das Militärkabinett eine dominierende Stellung gegenüber dem Zivilkabinett einnahm, sondern daß der Chef des Zivilkabinetts, gestützt auf seine Vertrauensstellung beim Kaiser und seine engen Kontakte zu Hindenburg und Ludendorff, in Bereiche eingriff, die eigentlich in das Militärressort fielen.

Schon sehr früh hat der deutsche Kronprinz sich bei seinem Vater für die Entlassung auch von Valentini's eingesetzt - im Einklang mit Ludendorff. Der Kronprinz wurde dabei von der Kaiserin unterstützt. Der Vater setzte einer Entlassung Valentini's, mit dem er Jahre lang vertrauensvoll zusammen gearbeitet hatte, Widerstand entgegen (2, S. 48):

Als seinen Nachfolger hatten Hindenburg und Ludendorff, wie auch der Kronprinz, von vornherein den Oberpräsidenten von Ostpreußen, v. Berg, ins Auge gefaßt. Nachdem ein zweitätiger Besuch des Kaisers in Ostpreußen, bei dem er er sich unter Führung des Oberpräsidenten über die Wiederaufbauarbeiten unterrichtete, eine neue und wie sich herausstellte, geglückte Chance geboten hatte, die Gunst des Kaisers für Berg zu gewinnen,

verlangte Hindenburg am 14. Januar 1918 im persönlichen Gespräch mit dem Kaiser die Entlassung Valentini's. Denn dieser stünde für den "Linkskurs der Regierung". Der Kaiser fügte sich, begrüßte von Berg aber am 16. Januar 1918 mit den unwirschen und mürrischen Worten (zit. n. 2, S. 313):

Man hat mir befohlen, Dich zum Chef des Zivilkabinetts zu machen.
Es ist zu erfahren (2, S. 38):
Für den Monarchen selber war Friedrich v. Berg nicht einfach nur ein treuer Untergebener, auch wenn er etwas großsprecherisch behauptete, er "wird tun, was ich ihm sage", sondern sein persönlicher Vertrauter, den er mit dem vertraulichen Du und "Monzi" anredete. Einer ähnlichen Wertschätzung erfreute sich der Kabinettschef auch bei den beiden Feldherren an der Spitze der 3. OHL, von denen insbesondere Hindenburg große Stücke auf ihn hielt.
von Berg schreibt über die Folgezeit in seinen Erinnerungen (2, S. 104):
Das Leben gestaltete sich im allgemeinen in Homburg ganz harmonisch. Durch den Fortgang von Valentini war eine gewisse Koalition gesprengt. Müller fühlte sich vereinsamt und lebte eigentlich ganz für sich. Unterstützung fand er nur in dem Geh. Legationsrat v. Grünau, Vertreter des Auswärtigen Amts.

Es folgte die große deutsche Frühjahrsoffensive im Westen unter Ludendorffs Führung. Nach größten Anstrengungen brachte sie nicht den erhofften Durchbruch. Mitte Juli waren die letzten militärischen Kräfte deutscherseits für Angriffshandlungen aufgebraucht, während sich gleichzeitig die Kriegsgegner mit frischen US-amerikanischen Truppen ständig verstärkten.

September 1918 - Friedrich von Berg rät Ludendorff, das Reichskanzleramt zu übernehmen

Friedrich von Berg nahm als Chef des Zivilkabinetts an der Lagebesprechung vom 22. Juli 1918 teil. Über diese hielt er in seinem Tagebuch fest (5, S. 440):

Es war klar, daß wir einen entscheidenden Sieg nicht mehr erringen konnten. Es kam jetzt nur darauf an, die heftigen Angriffe der Feinde abzuwehren.

So hatte es Ludendorff also schon am 22. Juli 1918 dargestellt. Der 8. August 1918 brachte dann den auch von Ludendorff so gekennzeichneten "schwarzen Tag des deutschen Heeres". Es ging nun auch Ludendorff darum, ein Waffenstillstandsangebot zu machen, bei dem dem Kriegsgegner mehr Zugeständnisse gemacht werden müßten als die deutsche Reichsführung bis dahin bereit gewesen war zu machen. Zur Bewertung von Ludendorffs Handeln in dieser Zeit ringt sich die deutsche Geschichtswissenschaft gerade - mit dem Historiker Gerd Krumeich - zu differenzierteren und sachlicheren Urteilen durch als sie diese Jahrzehnte lang vertreten hat (7). Aber das soll an dieser Stelle nicht im einzelnen dargestellt und erörtert werden.

Friedrich von Berg war bei der Besprechung im Großen Hauptquartier in Spa am 13. August 1918 anwesend (5, S. 446). Und er berichtet von der Reaktion des Kaisers auf Ludendorffs Rückzugsbefehle am 2. September 1918. Der Ludendorff-Biograph Manfred Nebelin hält darüber anhand der Aufzeichnungen Friedrichs von Berg fest (5, S. 452f):

Die Nachricht versetzte ihm einen derartigen Schock, daß er sich "in völliger Apathie" sogleich zu Bett begeben mußte. Nur mit viel Überredungskunst und dem Argument: "Wir können zwar den Sieg im Felde nicht mehr erringen, aber wir brauchen deshalb den Krieg nicht zu verlieren," gelang es der Kaiserin und Major Niemann zwei Tage später, Wilhelm II. neuen Mut einzuflößen und ihn zu bewegen, am Nachmittag des 4. September die Dienstgeschäfte wieder aufzunehmen, wenn auch - wie der Chef des Zivilkabinetts vermerkte - nur "leidlich teilnehmend". Berg dürfte sich dadurch veranlaßt gesehen haben, an Besucher, die - wie etwa der mit Wilhelm II. befreundete Reeder Albert Ballin - den Monarchen zu einer raschen Beendigung des Krieges drängen wollten, die Mahnung zu richten, "man dürfe den Kaiser nicht zu pessimistisch machen".

Auch den Rücktritt des Reichskanzlers Graf Hertling erlebte Friedrich von Berg am 29. September 1918 mit (5, S. 464). von Berg machte Ludendorff dann den Vorschlag, selbst die Reichskanzlerschaft zu übernehmen, ein Vorschlag, der Ludendorff schon ein Jahr zuvor von anderer Seite gemacht worden war. Ludendorff aber lehnte ab. Seine Begründung war, die Berufung eines Soldaten zum Reichskanzler

sei in einem Moment, wo das Heer zurückgehen müsse, für das Volk eine zu große Zumutung.

So halten es die Aufzeichnungen von Bergs fest (5, S. 464). Es drängt sich hier fast ein wenig der Gedanke auf, ob nicht Friedrich von Berg selbst Reichskanzler hätte werden können, und ob er das nicht auch selbst im Hinterkopf hätte haben können. Als nun der liberale Prinz Max von Baden Reichskanzler wurde, verurteilte von Berg denselben als "linksgerichtet", als "Wegbereiter des Bolschewismus" (1) und legte als überzeugter Monarchist sein Amt nieder. Es wird hier deutlich: Die Perspektive Friedrichs von Berg auf die damalige Politik ergänzt sehr wesentlich die Sichtweisen, die man sonst in den Geschichtsbüchern liest. Hätte sich nicht auch Ludendorff für eine Reichskanzlerschaft Friedrichs von Berg stark machen können? Was hätte gegen eine solche gesprochen?

Richard von Kühlmann (1873-1948) (Wiki), der als ausgesprochener Gegenspieler Ludendorffs im Auswärtigen Amt schon im Juni 1918 hatte zurücktreten müssen, bezeichnete Friedrich von Berg als "Totengräber der Monarchie" (s. Wiki). Ob sein Urteil Bestand hat, muß einstweilen dahin stehen. Man könnte vielmehr auch zu dem Urteil kommen: Wer so scharf von einem Richard von Kühlmann verurteilt wurde, an dem könnte doch auch etwas dran gewesen sein. Auf Wikipedia ist über Friedrich von Berg festgehalten (Wiki):

Bei seiner extrem konservativen Weltanschauung unterschied sich Berg in allen wesentlichen Fragen von seinem Corpsbruder Adolf Tortilowicz von Batocki-Friebe. So nahe er dem Kaiser über seinen Vater, das Corps und die Jagd in Rominten stand, so klar sah er die Schwächen Wilhelms II. "Wenn v. Berg den Kaiser trotzdem in seinem Sinne, dem starren Festhalten an der monarchischen Prärogative, am unbedingten Durchhalten gegen die feindliche Übermacht und die revolutionären Kräfte im Lande, zu steuern versuchte, so offenbar in der Vorstellung, daß er, Berg, berufen sei, den Monarchen vom Wege der ‚Ehre und Würde‘ der Monarchie, wie er sie sah, nicht abweichen zu lassen." (Potthoff, v. d. Groeben, 1993, S. 165 ff.).

1919 - Friedrich von Berg empfiehlt Hindenburg für die Reichspräsidentenschaft

Seit dem Frühjahr 1919 war die Provinz Ostpreußen abgetrennt vom übrigen Deutschen Reich. Und die Ostpreußen erlebten es fast täglich, wie der neue polnische Staat in Front gebracht wurde gegen Deutschland und wie einflußreiche polnische Politiker nicht nur Danzig, die Provinzen Posen, Westpreußen und Oberschlesien, sondern auch Ostpreußen und Pommern für den neuen Staat Polen forderten. Über Friedrich von Berg ist in dieser Zeit zu erfahren (Wiki):

Nach seinem Abschied aus Berlin ging Berg zurück nach Ostpreußen. (...) 1920 (...) wurde er Erster Vorsitzender (Adelsmarschall) der Deutschen Adelsgenossenschaft, ein Amt, das er bis 1932 ausübte.

Schon im Sommer 1919 war von vielen Seiten her der Gedanke aufgekommen, daß Hindenburg als Kandidat für die Reichspräsidenten-Wahl aufgestellt werden sollte (4, S. 443ff). Um 1919/20 bekam Hindenburg über einen Briefwechsel mit Friedrich von Berg ein zustimmendes Signal von Seiten des vormaligen Kaisers in Doorn zu diesen Plänen (4, S. 448). Am 2. Februar 1920 wurde Hindenburg von Friedrich von Berg außerdem vor der katholischen Lobby-Arbeit im Reich gewarnt:

Rom ist in Bewegung,

so schrieb Friedrich von Berg an Hindenburg (2, S. 448, Anm. 25), um einen katholischen Reichspräsidenten wählen zu lassen, was als Vorläufer aufgefaßt werden könnte, um die Wittelsbacher zu deutschen Kaisern zu machen. Dem müsse sich Hindenburg entgegen stellen. Friedrich von Berg warnte also schon 1919 vor ähnlichen Entwicklungen, vor denen Erich Ludendorff ab 1923/24 auch in Bayern warnen sollte, worüber er dortselbst mit dem katholischen Thronfolger Kronprinz Rupprecht in scharfe Auseinandersetzung kommen sollte.

Im Frühjahr 1920 legte Friedrich von Berg in handschriftlichen Aufzeichnungen seine Erinnerungen über seine Tätigkeit als Chef des Zivilkabinetts nieder (2, S. 77). Erst 1971 sind sie veröffentlicht worden (2).

Von 1921 bis 1926 war Friedrich von Berg Leiter der Generalverwaltung des vormals regierenden preußischen Königshauses und vertrat als Generalbevollmächtigter der Hohenzollern zusammen mit dem Kaisersohn August Wilhelm von Preußen das ehemalige Königshaus in den Auseinandersetzungen mit dem Reich um das Hausvermögen. Er stand also weiterhin in engster Verbindung zu sicherlich allen Angehörigen der Kinder von Kaiser Wilhelm II. und seiner Enkel.

Nach Ludendorffs Entlassung hatte Hindenburg selbst nicht seine Entlassung gefordert, wie Ludendorff das wie selbstverständlich erwartet hatte, sondern war geblieben. Und am 9. November 1918 hatte er dem Kaiser zur Flucht nach Holland geraten, da die deutschen Truppen für seine Sicherheit nicht mehr bürgen könnten. All diese Umstände ließen nicht nur in den Augen von Ludendorff ein schlechtes Licht auf Hindenburg fallen. Aber da er für eine künftige Reichspräsdentenschaft vorgesehen war, sollte er in der Öffentlichkeit auch nicht in zu schlechtem Licht stehen.

1922 erschien die Schrift "Der Kaiser am 9. November! Eine Klarstellung nach noch nicht veröffentlichtem Material" (4, S. 425). Der Kaiser hatte bald nach seiner Flucht nach Holland eine Niederschrift über die Ereignisse rund um seine Abdankung und seine "Flucht" nach Holland angefertigt. Diese Niederschrift war auch in den Besitz von Friedrich von Berg gelangt. Und er gab sie zur Veröffentlichung weiter. Entgegen den Wünschen des Kaisers wurde in dieser Veröffentlichung jedoch die Rolle Hindenburgs nicht klar herausgearbeitet, weil das Ansehen Hindenburgs nicht beschädigt werden sollte. Welche Rolle Friedrich von Berg dabei spielte, ist zunächst noch nicht ersichtlich.

Juni 1923 - Friedrich von Berg: "Deutschland, wahre die Ehre!"

Im Antiquariatshandel ist gegenwärtig ein "Albumblatt" von Friedrich von Berg angeboten (Abbildung 3). Es ist vom Anbieter offensichtlich falsch auf das Jahr 1913 datiert, obwohl als Jahreszahl deutlich genug 1923 zu lesen ist, worauf auch viel besser der kurze und knappe Inhalt des Albumblattes paßt.


Abb. 3: "Deutschland, wahre die Ehre!"
Albumblatt "v. Berg Markienen"
(Herkunft: Zvab, März 2018)

Sein Wortlaut:

Gebot über allen Geboten:
Deutschland, wahre die Ehre!
8. Juni 23        v. Berg-Markienen

In dem Albumblatt tut sich der Geist der damaligen Zeit kund.

April 1924 - Zehn Prozent für die Deutschvölkische Freiheitspartei in Ostpreußen

Dieser Friedrich von Berg nun scheint einen Bruder gehabt zu haben, der drei Jahre später, im Dezember 1926 starb, und der sich im Umfeld der damaligen völkischen Bewegung in Ostpreußen bewegte, sprich, im Umfeld der damaligen Deutschvölkischen Freiheitspartei. Wahrscheinlich war dieser Bruder sogar Mitglied der Deutschvölkischen Freiheitspartei.

Diese "Deutschvölkische Freiheitspartei", die in Norddeutschland unter der Führung von Albrecht von Gräfe - und zugleich in guter Verbindung mit Ludendorff in München - stand, erhielt bei den Reichstagswahlen im Frühjahr 1924 in Ostpreußen über zehn Prozent der Stimmen (8).

Hindenburg und Ludendorff wurden im August 1924 in Ostpreußen zur Feier des zehnten Jahrestages der Schlacht von Tannenberg erwartet. Ludendorff selbst war vor den geplanten Feierlichkeiten in Königsberg und auf dem Schlachtfeld bei Osterode zunächst zu einem "Ostpreußentag" nach Tilsit im Memelland gefahren, und zwar am 24. und 25. August 1924. In seinen Lebenserinnerungen berichtet er weiter (9, S. 355):

Am 26. ging es dann weiter durch das Samland nach Königsberg. (...) In Königsberg wohnte ich bei der Familie Döring. Herr und Frau Döring standen an der Spitze der Deutschvölkischen Freiheitpartei in Königsberg und nahmen mich gastlich auf.*)


Abb. 4: Beileidsschreiben Ludendorffs an Frau Vonberg in Bartenstein, Dezember 1926
(Herkunft: Ebay, März 2018)

Und dieses Ehepaar Döring in Königsberg scheint auch im Dezember 1926 in einem handgeschriebenen Beileidsschreiben Ludendorffs eingangs erwähnt zu werden, das jüngst bekannt geworden ist (Herkunft: Ebay, März 2018). Sein Briefumschlag ist nun interessanterweise adressiert an eine "Frau Käthe Vonberg, Bartenstein". Von der Anbieterin wird der Brief aufgrund des Datums im Poststempel auf der Briefmarke ("27 DEZ 26.") auf das Jahr 1926 datiert.**) (Da ausgerechnet hinter der 26 ein Punkt ist, könnte das Datum theoretisch natürlich auch gelesen werden als "26. Dezember 1927". Da müßte uns ein Briefmarken-Kenner einmal aufklären.) Die handgeschriebene Jahreszahl im Brief selbst ist von Erich Ludendorff sehr undeutlich geschrieben, aber vielleicht soll es sich ja bei ihr auch um eine "26" handeln. Der Brieftext (soweit erkennbar):

München, den 27. 12. 1926 (?)
Sehr geehrte Frau Vonberg!
Hauptmann Döring sandte mir Ihre Anzeige über das plötzliche Ableben Ihres Herrn Gemahls. Auch ich möchte da nicht unter den wärmstens Anteilnehmenden fehlen und Ihnen mein herzlichstes Beileid zu dem schweren Verlust aussprechen, den aber nicht nur Sie und die Kinder, sondern wir Völkische in unserer Gesamtheit erlitten haben.
Ihr Ludendorff

Der Name "Vonberg" ist zunächst auffallend geschrieben. Hat der hier anzunehmende Bruder Friedrich von Bergs als Angehöriger der völkischen Bewegung auf den Adelstitel sozusagen verzichten wollen und deshalb seinen Familiennamen "von Berg" zu "Vonberg" zusammen gezogen? Ähnliches ist ja auch bei vielen anderen Familiennamen zu beobachten. (Erinnert sei etwa an den verdienten deutschen Anthropologen Andreas Vonderach [geb. 1964] [Wiki], dessen Familienname ursprünglich "von der Ach" lautete.) Da als Adresse "Bartenstein" angegeben ist, ist es immerhin mehr als nahe liegend zu vermuten, daß es sich um einen Bruder des genannten Friedrich von Berg handelt, bzw. bei Käthe Vonberg um dessen Schwägerin. Es kann sogar weiterhin gemutmaßt werden, daß dieser Bruder in einem gewissen politischen Spannungsverhältnis zu Friedrich von Berg gestanden haben könnte. Mehrmals deutet sich an, daß Friedrich von Berg damals als konservativer Monarchist in Gegnerschaft zu den "Völkischen" stand. Aber das sind nur Mutmaßungen.

Dem Tenor dieses Briefes darf man entnehmen, daß Ludendorff mit diesem Bruder persönlich nicht in engere Berührung gekommen ist, sondern höchstens flüchtig. (Und um es erwähnt zu haben: Ludendorff konnte ja zum Ableben des bisher hier behandelten Friedrich von Berg im Jahr 1939 keinen Beileidsbrief mehr senden, da er selbst schon 1937 gestorben war. Auch scheint ja doch Friedrich von Berg nicht jene politisch völkische Einstellung gehabt zu haben, die in dem Beileidsschreiben von Ludendorff bei dem Gestorbenen voraus gesetzt wird.)

Von der  Anbieterin dieses Briefes (Abb. 4) wurde auch eine signierte, ansonsten gedruckte Dankeskarte angeboten, die Erich Ludendorff im April - sicherlich als Dank für Geburtstagswünsche - versandte (Abb. 5). Sie stammte aus demselben Familiennachlaß und es ist anzunehmen, daß sie ebenfalls an diesen Bruder Friedrichs von Berg gerichtet war.

Abb. 5: Gedruckte Dankeskarte, München, April 1926 (oder 1924?)
(Herkunft: Ebay, Februar 2018)

Da auch hier die Jahreszahl ähnlich wie im zuvor behandelten Brief geschrieben ist, könnte angenommen werden, daß auch diese Dankeskarte aus dem Jahr 1926 stammt. Ansonsten hätte man auch hier eher "1924" angenommen.

Alles in allem wird man also schlußfolgern müssen, daß Friedrich von Berg noch einen Bruder hatte, der mit der genannten Frau Käthe Vonberg verheiratet war, daß sie beide Kinder hatten, und daß sich das Ehepaar im Umfeld der Deutschvölkischen Freiheitspartei in Ostpreußen bewegte, vermutlich sogar Mitglied dieser Partei war, daß es sich zu den Verehrern und Anhängern Erich Ludendorffs rechnete auch noch in einer Zeit - 1926, in der Erich Ludendorff nur noch wenige Anhänger hatte, und daß dieser Bruder im Dezember 1926 gestorben ist. Entweder wohnte er mit Frau und Kindern ebenfalls auf dem Gut seines Vaters Markienen bei Bartenstein oder in der nahe gelegenen Stadt Bartenstein selbst.

Das genannte Ehepaar Döring in Königsberg könnte sich auch weiterhin im Umfeld der Familie von Berg bewegt haben, und zwar auch im Umfeld Friedrichs von Berg, der sich hinwiederum ja im Umfeld der Kaisersöhne und -enkel bewegte. Dazu wird gleich noch ein deutlicher Hinweis gegeben werden.

Friedrich von Berg selbst blieb ja auch in den Folgejahren mit Hindenburg in persönlicher Verbindung. Er besuchte ihn etwa 1930 auf Gut Neudeck in Ostpreußen (4, S. 603) und auch Hindenburg scheint ja (siehe Zitat oben) von Berg auf Gut Markienen besucht zu haben, ebenso wie das Kronprinzenpaar.

1931 - Der Hohenzollern-Prinz Wilhelm über Ludendorffs Freimaurer-Kampf in Königsberg

1957 nun erhielt Mathilde Ludendorff ausgerechnet von einer Frau L. Döring (inzwischen wohnhaft in Hann. Münden) Mitteilungen über das Verhältnis Kaiser Wilhelms II. zur Freimaurerei (3). Sie berichtete darüber in ihrer Zeitschrift "Quell" (10) (Hervorhebung nicht im Original):

Ende Juni erhielt ich eine Nachricht, die mir sehr lieb ist. Herr Walter Kahlewey, der in der Schlacht bei Tannenberg das Augenlicht verloren hat und später mit dem Feldherrn in Freimaurerangelegenheiten eng zusammengearbeitet hat, sandte einen Brief, den Frau L. Döring, Hann. Münden geschrieben hat. In ihm berichtet sie über die Wirkung, die das Werk des Feldherrn "Vernichtung der Freimaurerei" auf Kaiser Wilhelm in Doorn gemacht hat. Ich möchte diese Worte im Wortlaut unseren Lesern bekannt geben:
"Prinz Wilhelm, der älteste Sohn des Kronprinzen, sagte mir 1931 in Königsberg, daß dieses Werk des General Ludendorff den Kaiser in Doorn tief erschüttert habe. Mit diesem Werk habe sich Ludendorff wieder unsterblich gemacht."

Prinz Wilhelm fiel im Frankreich-Feldzug 1940.

Das heißt also, die genannte Frau L. Döring sprach 1931 in Königsberg mit dem Prinzen Wilhelm. Und es ist naheliegend anzunehmen, daß das Gespräch deshalb auf Ludendorffs Freimaurerkampf kam, weil das Ehepaar Döring eben schon 1924 zu den Anhängern Erich Ludendorffs gehörte. Und aus diesen Worten dürfte weiterhin hervorgehen, daß nicht nur der letzte Kaiser und sein ältester Sohn, sondern auch der älteste Enkelsohn des letzten Kaisers, der Prinz Wilhelm viel Anteil genommen hat an dem Kampf Erich Ludendorffs gegen die Freimaurerei. Mathilde Ludendorff schrieb 1957 weiter über den Dezember 1937, als Erich Ludendorff starb (10):

Wenn ich bedenke, wie sehr des Kaisers Brief an den sterbenden Feldherrn ihm damals eine Freude war, so erfahre ich jetzt in tiefer Freude, daß das Werk "Vernichtung der Freimaurerei" dem Kaiser offenbar die Augen über die Urheber des Zusammenbruchs trotz aller Siege des Feldherrn geöffnet hat. Hiermit ist es auch geklärt, weshalb der Kronprinz bei seinem Besuche in unserem Hause anläßlich des 70. Geburtstages des Feldherrn so voll überzeugt war von der Gefahr der überstaatlichen Mächte und deshalb auch - nach dem Hohenzollern-Rechte hierzu befugt - seinen Söhnen verboten hatte, in die Loge einzutreten.

In den gleichen Zeitraum wird fallen, worüber Mathilde Ludendorff ein Jahr später in derselben Zeitschrift berichtete (3):

Prinz Wilhelm, der älteste Sohn des Kronprinzen, der in Frankreich im 2. Weltkrieg an der Front gefallen ist, antwortete im kleinen Kreise, als gesagt wurde, daß die ganze Öffentlichkeit General Ludendorff nun totschwiege, seit er den Kampf gegen die Freimaurerei aufgenommen habe: "Die Welt habe von Ludendorffs Buch 'Vernichtung der Freimaurerei' usw. mit Entsetzen Kenntnis genommen. Ludendorff habe das große Verdienst, daß er diese Veröffentlichungen mit seinem unsterblichen historischen Namen gemacht habe."

Es ist auffallend, daß Mathilde Ludendorff die Mitteilungen der Frau L. Döring nur über einen dritten erhielt. Man könnte mutmaßen, daß das Ehepaar Döring in Königsberg den Weg weg vom Christentum, den Erich Ludendorff nach 1926 eingeschlagen hat, nicht mit gemacht hat, daß das Ehepaar sich aber im Umfeld der Familie von Berg bewegte, in der es auch auf den Prinzen Wilhelm 1931 gestoßen sein wird.

Jedenfalls wird man durch das neu bekannt gewordene Beileidsschreiben Erich Ludendorffs aus dem Dezember 1926 auf eine ganze Menge von neuen möglichen, bzw. sich andeutenden Zusammenhängen verwiesen, deren sich selbst Fachleute bislang nicht bewußt gewesen sein dürften, und die den Eindruck machen als ob es lohnend sein könnte, ihnen weiter nachzugehen.

Abb. 6: Der vormalige Kaiser Wilhelm II. (Mitte) mit seinem ältesten Sohn Kronprinz Wilhelm (links) und dessen Sohn Prinz Wilhelm (rechts) - Doorn in den Niederlanden, 1927

Mai 1933 - Friedrich von Berg setzt sich bei Hitler für die Wiederherstellung der Hohenzollern-Monarchie ein

Friedrich von Berg blieb auch nach 1931 weiterhin im engen Einvernehmen mit dem ehemaligen Kaiser, seinem ältesten Sohn und - vermutlich - dessen ältesten Sohn. Am 6. Februar 1932 veröffentlichte Friedrich von Berg als erster Vorsitzender der deutschen Adelsgenossenschaft eine Kundgebung, in der Hindenburg zur erneuten Kandidatur für das Reichspräsidentenamt aufgefordert wurde (Wiki). Weiter wird berichtet (4, S. 664):

Nach der Annahme der Kandidatur stellte sich jedoch heraus, daß Friedrich von Berg diesen Vorstoß auf eigene Faust unternommen hatte, weshalb er unter schweren innerverbandlichen Beschuß geriet. Am 17. Februar mußte er den Vorsitz der Adelsgenossenschaft niederlegen, was zum Ausdruck brachte, wie sehr gerade jüngere Adlige sich von dem klassischen Adelsverständnis abgewandt hatten und mit einer völkischen Definition von Adel liebäugelten.

Womöglich handelte es sich um solche Adlige, die - wie der Bruder von Bergs - ihren Namen von von Berg auf Vonberg umbenannten. Auf Wikipedia heißt es dazu (Wiki):

Seine monarchische Fraktion konnte sich nicht gegen die völkische durchsetzen. (...) Nach 1932 zog sich Berg aus dem öffentlichen Leben zurück. Er verstarb 1939 auf seinem Gut in Markienen.

Nun, so ganz richtig ist Wikipedia noch nicht diesbezüglich informiert. Denn noch am 9. Mai 1933 sprach Friedrich von Berg persönlich bei Adolf Hitler vor in Sachen Wiederherstellung der Hohenzollern-Monarchie. Hitler erklärte, daß es dafür noch zu früh sei. Er arbeite auf diese jedoch als Abschluß seines politischen Wirkens hin (4, S. 840). Wie ehrlich es Hitler damit meinte, steht natürlich dahin. Vermutlich handelte es sich hierbei nur um eine taktische, hinhaltende Äußerung. Für die Wiederherstellung der Hohenzollern-Monarchie wäre jedenfalls der deutsche Kronprinz bereit gestanden, ebenso sein Sohn, der erst ein Jahr zuvor in Königsberg gesprächsweise die Erschütterung seines Großvaters über Ludendorffs Freimaurer-Kampf erwähnt hatte.

Insofern hätte damals die Wiederaufrichtung der Hohenzollern-Monarchie - als Alternative zum "Dritten Reich" - ein Segen für Deutschland sein können. Gerade auch der junge Prinz Wilhelm wurde von vielen Menschen als politisch hoch befähigt erachtet.

Das Leben und Wirken des Friedrichs von Berg - sowie gegebenenfalls das seines uns namentlich noch nicht bekannt gewordenen Bruders - machen verständlicher, in welchem Rahmen politischen Denkens und Handelns sich auch dasjenige Erich Ludendorffs zwischen 1917 und 1933 bewegte. Auch Erich Ludendorff hielt ja bis an sein Lebensende engen Kontakt zum deutschen Kronprinzen und verfolgte auch das Schicksal von dessen Sohn mit großer Aufmerksamkeit weiter (3). Durch das neu bekannt gewordene Beileidsschreiben Erich Ludendorffs aus dem Jahr 1926 fällt also viel Licht auf Zusammenhänge, deren man sich ohne diese neue Quelle nicht leicht hätte bewußt werden können.

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*) Er schreibt weiter:
In der Veranstaltung in der Stadthalle sprachen außer mir der Forstmeister Gieseler aus Taberbrück nördlich Osterode, der die Deutschvölkische Freiheitpartei der Provinz leitete, und Hauptmann Röhm, der sich in meiner Begleitung befand. Auch diese Feier war von hohem Schwunge getragen.
Abb. 7: Datum des Poststempels
**) Der Poststempel auf der Briefmarke des Briefumschlags: Abb. 7.
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  1. Friedrich von Berg-Markienen, geb. in Markienen/Ostpreußen 20.11.1866, † ebenda 9.3.1939. Auf: http://eisenbahn-gumbinnen-goldap.de/gumbinnen/planung-und-bau/3/ (nach: Nils Köhler und Rüdiger Möller: „Die Nordmark helfe der Ostmark” Ostpreußische Kriegsflüchtlinge in Norderdithmarschen während des Ersten Weltkrieges Demokratische Geschichte, Band 14, S. 111-138)
  2. Heinrich Potthoff (Bearb.): Friedrich von Berg als Chef des Geheimen Zivilkabinetts 1918. Erinnerungen aus seinem Nachlaß. Droste Verlag, Düsseldorf 1971 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Erste Reihe Bd. 7) (Gb)
  3. Bading, Ingo: Der deutsche Kronprinz - Begeistert von der Philosophie Mathilde Ludendorffs ... Und mit Vater und Sohn nicht nur ein Verehrer Erich Ludendorffs, sondern begeistert von dessen Freimaurer-Kampf. Studiengruppe Naturalismus, 4. April 2015, http://studiengruppe.blogspot.de/2015/04/der-deutsche-kronprinz-war-begeistert.html
  4. Pyta, Wolfram: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler. Siedler Verlag, München 2007
  5. Nebelin, Manfred: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg. Siedler Verlag, München 2010
  6. Ludendorff, Erich: Kriegshetze und Völkermorden in den letzten 150 Jahren. Ersterscheinen 1928. Neu bearbeitet. Ludendorffs Volkswarte-Verlag, München 1931
  7. Kellerhoff, Sven Felix: „Ludendorff wollte nur eine Pause - und weiterkämpfen“. In: Die Welt 05.03.2018, https://www.welt.de/geschichte/article174192890/Kriegsende-1918-Was-der-wahre-Kern-der-Dolchstoss-Legende-ist.html 
  8. Kossert, Andreas: Damals in Ostpreußen. Der Untergang einer deutschen Provinz. 2010
  9. Ludendorff, Erich: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär und Wegbereiter Deutscher Volksschöpfung. Meine Lebenserinnerungen 1919 bis 1925. Ludendorffs Verlag, München 1940 (Gb)
  10. Ludendorff, Mathilde: Eine beachtliche Äußerung. In: Der Quell, Folge 19, 9.10.1957, S. 911 (Gb)